4.5.10

piratenträume

wie ein altes kaputtes grammophon auf dem dachboden, das immer wieder dasselbe lied abspielt. oder eine kaputte kinderspieluhr. so fühle ich mich im moment. kein schlechter vergleich. oder wie ein altes spielzeug, das in einer truhe sitzt und wartet, dass man wieder mit ihm spielt. es hat die hoffnung nicht aufgegeben, obwohl es schon seit ewiger zeit wartet, doch es ist nur ein dummes spielzeug mit dummen spielzeugträumen.

keine puppe (so würde ich mich selbst nie wahrnehmen), eher ein abgegriffener steiffbär, einer der gemütlichkeit schätzt und ein zuhause und der, da man ihm dies standhaft in diesem leben verweigert, sich in seiner ecke selbst ein zuhause geschaffen hat. weil es anders nicht geht. er hat alles, was ihm gefällt, unter mühen herangeschafft und ist nun umgeben von büchern, fotoapparaten, kaleidoskopen und alten postkarten, die ihm die grosse, fremde welt da draussen zeigen, die er nie gesehen hat. an die er auch nicht wirklich glaubt, aber die er über alles bewundert. es wäre schön, daran zu glauben. manchmal denkt er, dass man dafür leben könnte. er besitzt ein fernglas, das er zwar noch nicht benutzen kann (er hält es immer verkehrt herum), aber auch das wird er noch lernen. er ist ein gelehriger bär und begreift schnell. was meistens ein grosser vorteil ist.

da er sich gern als mensch verkleidet, hängen um seinen hals unmengen an ketten. alte, lange modeschmuck-ketten, einige reihen perlen, ketten mit bunten glassteinen. ein uralter, brüchiger spitzenschal ist um seinen kopf geknotet, lässt aber die ohren frei, die er meistens spitzt, um nichts zu verpassen, was vor dem haus und um das haus herum vorgeht. das alles verleiht ihm das verwegene aussehen eines piraten aus einem seiner bücher. die alte strassbrosche, die bei den ketten in der schmuckschatulle liegt, hätte er ganz gerne noch an seine brust geheftet, aber ein piercing am ohr reicht. er hält sie manchmal ins licht, dreht sie hin und her und lässt sie in seiner pfote funkeln.


vielleicht ist dann das fenster offen und einige staubige sonnenstrahlen fallen herein, vielleicht fallen ein paar regentropfen herein und glitzern noch ein bisschen am boden, bevor sie vom staub getrocknet werden. und vielleicht sind da kinder. lachende kinder, die vor dem haus spielen.

manchmal braucht er nur das staubige sonnenlicht, um glücklich zu sein. er meint, darin wäre die ganze welt enthalten. oder im gesang eines vogels auf einem der hohen bäume vor dem haus. dennoch träumt er unablässig seinen schönsten traum weiter. vermessen, sagt er zu sich, es ist doch zu vermessen und megaloman. und er schämt sich dafür, vermessen und megaloman zu sein. dennoch kommen die träume wieder und wieder, er kann nichts dagegen tun.

jemand betritt den dachboden. nicht, um sauber zu machen oder das fenster zu schliessen, das er nachher mit müh und not wieder öffnen muss. niemand, der nur nach dem rechten sieht und dann wieder geht, ohne ihm auch nur einen blick zu schenken, nicht mal einen zufälligen.
jemand, der schnurstracks direkt auf ihn zukommt, in seine ecke kommt und ihn dann hochhebt und ihn festhält. mit ihm redet und ihn dann mit hinunternimmt, dorthin, wo die stimmen und das lachen zuhause sind. er sieht sich manchmal im garten sitzen, in einem erdbeerbeet, von schmetterlingen umgeben, oder auf der wiese unter einem bunten sonnenschirm, zusammen mit seinen menschen, und er denkt, dass es das höchste glück der erde sein muss, dem leben so nahe zu sein. wieder daran teilzunehmen.
manchmal träumt er vermessene und megalomane träume, aber er ist ein pirat und es ist seine art. piraten träumen grosse träume.

wie oft er schon von menschen verlassen wurde, weiss er nicht mehr.
er gibt sich manchmal die schuld dafür.