16.4.10

fenster mit einsicht



manchmal bin ich auf entdeckungstour. die orte, die mich dann wie magisch anziehen, haben alle eins gemeinsam: die häuser sind alt, verwohnt, benutzt, und man sieht die spuren von leben überall. keine neue tünche überdeckt die spuren auf den oberflächen und die hausmauern wirken warm und freundlich, obwohl sie sicher dreckig und manchmal gewiss nicht schön anzusehen sind. für mich sind sie trotzdem schön. verputz, der abbröckelt, alte verblichene konzertplakate, mauerwerk, das zum vorschein kommt. fensterläden aus holz, die an durchgerosteten scharnieren hängen und so aussehen, als würden sie bei dem nächsten windstoss heruntergeweht werden. fenster mit innenleben, fenster mit einsicht sozusagen, das nette gegenstück zum fenster mit aussicht. meistens stehen kakteen auf den fensterbänken und ab und zu pfennigbäume wie in den chinarestaurants. manchmal sogar eine richtig schöne anordnung von gegenständen, die liebevoll auf den fensterbänken arrangiert wurden. bunte alte glasflaschen mag ich besonders gern, mit altem, dickem glas. sachen, die man auf flohmärkten finden kann, wenn man richtig glück hat.

mir fällt gerade eine episode ein, es ist schon ewig her. ich war mit freunden unterwegs zum flohmarkt, es war noch früh am morgen und noch ganz diesig und grau. bevor das morgenlicht heraufkriecht, also diese zwischenstufe. noch nicht ganz morgen. wir kamen an diesem uralten haus vorbei und an einem fenster im erdgeschoss, das offen stand. jemand hatte über nacht das fenster offen gelassen. diesen jemand sahen wir dann auch. ich kann nicht wirklich sagen, dass der anblick etwas für geniesser war. wir blieben auf jeden fall alle ganz plötzlich stehen und starrten durch das fenster in ein zimmer, wo dieser dicke nackte mann im bett lag und schlief. er wandte uns den rücken zu, was gut war. trotzdem war es etwas, das man sein ganzes leben irgendwie nie vergisst. es sah surreal aus und irgendwie wie aus einem film. es war der erste dicke nackte mann in meinem ganzen leben.

man findet immer etwas interessantes, wenn man in erdgeschossfenster schaut. manchmal sind die dinge nicht wirklich schön, auf manche anblicke würde man auch ganz gern verzichten. trotzdem bin ich recht froh, nicht zu der gattung autofahrer zu gehören. ich bin noch immer der fussgänger schlechthin. und obwohl ich die autofahrer manchmal wirklich beneide, vor allem an kalten tagen, wenn meine vorliebe für regen von nassen haaren und eiskalten füssen ein wenig übertönt wird, werd ich wahrscheinlich noch eine lange zeit zu der aussterbenden gattung fussgänger gehören. zu denen, die in erdgeschossfenster spähen. du weisst nie, was auf dich wartet, wenn du viel zu fuss unterwegs bist. das ist sicher auch mit einer der gründe, warum ich ganz gut auf ein auto verzichten kann. vielleicht hab ich irgendwann wieder mal ein fahrrad, ein schwarzes riesiges rad. so ein echt altmodisches.

so, und kann mir jetzt jemand verraten, wie ich das bild des dicken nackten mannes wieder aus meinem kopf kriege?