18.12.10

festhalten, was man liebt



ich habe angst, dass ich irgendwann sogar einmal vergessen haben werde, wie der regen riecht.

man sagt, dass man immer wieder dinge verlernt oder vergisst und dafür neue dinge lernt. eine neue art der wahrnehmung, die gerade dann in erscheinung tritt, wenn man sich auf bestimmte dinge einfach häufiger oder stärker konzentriert als früher.
es könnte wie ein filter sein, den man gerade über die welt legt. man blendet bestimmte dinge aus und sieht dafür andere dinge, die einem früher verborgen geblieben sind. es hat vor- und nachteile. menschlich, wie wir eben sind, liegt uns sicher näher, eher die nachteile zu erkennen als die vorteile zu schätzen. wir haben einfach angst, dinge, die wir früher liebten, zu verlieren, und zwar für immer. gerade ist es bei mir wieder soweit. ein gefühl, als würde ich in einen dunklen abgrund fallen, und es hat mit depressionen nichts zu tun. ich weiss, wie sich depris anfühlen, und das ist es mit sicherheit nicht. dinge entgleiten mir, die wichtig wären. ich nehme sie, wenn überhaupt, nur am rande wahr. zum beispiel die poesie des frisch gefallenen schnees, die ersten fussspuren im schnee, wenn man an einem wintermorgen hinausgeht. ich schreibe über diese dinge, also sind sie noch da, aber ich fühle sie einfach weniger stark als früher. wann war die letzte mondnacht, in der ich einfach nur am fenster gesessen bin und hinausgesehen habe? mit einem block auf den knien, in den ich bei dunkelheit meine gedanken geschrieben habe, ohne die zeilen zu treffen. manchmal wurden gedichte draus, die ich am morgen gelesen habe, den kopf immer noch voll mit den eindrücken der letzten nacht, in den augenwinkeln noch den mondglanz und bezaubert von der stille, die mich mehr berührt, als es musik jemals könnte, und das heisst wirklich was. und wann bin ich das letzte mal in den regen rausgelaufen, ohne schirm, einfach nur so? einfach nur, weil da regen ist und frühling, weil der regen so gut riecht auf der erde. ohne schirm, natürlich. schirme sind mir nicht wirklich sympathisch. es sei denn, im sommer, um die sonne abzublocken, und weil ich mir wieder mal den wunderbaren luxus gönne, anders zu sein als die anderen um mich. aber ich schweife ab.
dinge, die ich liebe. einfache dinge, die jeden tag um mich sind. sie sind noch immer hier. nur manchmal bin ich es nicht. jeder tag der abwesenheit ist ein verlorener tag, ganz sicher. also muss ich mich darauf konzentrieren, diese form der wahrnehmung wieder zu erlernen. es wird sicher eine zeitlang dauern. ich vermisse mich. so wie ich früher war. was seltsam klingt, aber so ist es einfach. und ich lasse es nicht zu, dass ich von bestimmten dingen oder umständen definiert werde, die ausserhalb meiner welt liegen. schädliche einflüsse kann man erkennen und beseitigen. ich glaube, dass man das sogar muss, es ist ein wichtiger teil des lebens. und einfach nur festhalten, was man liebt. sonst sitzt man irgendwann da und starrt leer vor sich hin. oder beginnt, fremde leben wie ein vampir auszusaugen, und das ist das allerschlimmste, was aus dir werden kann.